Helden am Simplon

13.05.2022

Der Simplonpass – wild, eindrücklich, romantisch.

Schon seit der Steinzeit überqueren Reisende den Simplonpass. Der imposante Gebirgspass verbindet das Oberwallis mit Norditalien und gehört zu den wichtigsten Übergängen der Alpen. Spannende Heldengeschichten zeugen vom besonderen Ort. Nicht nur fand hier der erste Alpenflug statt, auch Napoleon und der lokale Handelsmagnat Stockalper tragen zur Bekanntheit der bildgewaltigen Alpenüberquerung bei.

Ein paar wenige Hotels und Restaurants, eine bestens ausgebaute Passstrasse und ein mächtiges Hospiz beeindrucken Passanten aus dem In- und Ausland. Bescheiden die Höhe des Passes: mit knapp über 2000 Meer ist er einer der tiefst gelegenen Alpenüberquerungen. Entsprechend früh wurde die nahe Verbindung zwischen dem Oberwalliser Städtchen Brig und dem italienischen Domodossola genutzt.

Erste Siedlungsspuren datieren aus der Steinzeit vor rund 9000 Jahren. Seine erste grosse Blüte erlebte der Simplon im 17. Jahrhundert. In Europa tobte der Dreissigjährige Krieg (1618-1648) und weil das Wallis vom Kriegsgeschehen weitgehend unbehelligt blieb, nutzte der berühmte Briger Kaspar Stockalper «der Grosse Stockalper» die Gunst der Stunde geschickt zum Aufbau seines für damalige Verhältnisse immensen Handelsimperiums u.a. als Salz- und Schneckenmonopolist. Stockalper liess den mittelalterlichen Saumpfad ausbauen und organisierte neben einer fleissig betriebenen Handelsroute auch regelmässige Postverbindungen zwischen Frankreich und Italien. Mehre Gebäude auf dem Simplon zeugen von den beachtlichen Geschäftstätigkeiten von Stockalper: bemerkenswert vor allem das ehemalige Hospiz «altes Spittel» unterhalb des Passes. Heute ist der «Stockalperweg» oder die «Via Stockalper» eine beliebte Wanderroute über den Simplon.

Auf Stockalper folgte der Feldherr Napoleon: er nutzte den Simplon als Alpenüberquerung für seine Artillerie. Anfangs des 19. Jahrhunderts liess Napoleon eine befestigte Strasse bauen, um Kanonen und Pferde nach Süden zu bringen. Die Simplonstrasse gilt als die erste Fahrstrasse über die Alpen. Als schnellste Verbindung zwischen Paris und Mailand erlangte die Passstrasse daneben auch wirtschaftliche Bedeutung. 1870, zur Hochblüte der Simplonpost, querten pro Tag bis zu vier Kutschen in beide Richtungen den Pass. Der Bau des Hospizes auf dem Simplon wurde von Napoleon begonnen, beendet haben ihn die Chorherren vom Grossen Sankt Bernhard, die bis heute Bedürftige, die eine Auszeit benötigen sowie Jugendgruppen und Naturfreunde beherbergen.

Der Erfolg der Simplonpost ging anfangs des 20. Jahrhunderts mit der Eröffnung des Simplon-Eisenbahntunnels zwischen Brig und Iselle jäh zu Ende. Dieser bis 1978 längste Tunnel der Welt läutete ein neues Zeitalter ein, in kürzester Zeit gelangten die Reisenden durch den Simplontunnel von der Schweiz nach Italien. Direkte Verbindungen von Paris und London nach Istanbul und Athen wurden angeboten: Brig lag mittendrin. Der Tourismus florierte und der Glanz der Belle Époque war auch im Oberwallis angekommen. Der berühmte Simplon-Orient-Express, der Luxuszug mit Schlaf- und Speisewagen, fuhr täglich auf seiner Reise von Paris nach Istanbul durch Brig.

Zum Heldenmythos des Simplon passt auch, dass 1910 ein weiterer Weltrekord aufgestellt wurde. Der Peruaner Jorge Chavez, in der Schweiz als Geo Chavez bekannt, überquerte als Erster mit einem Flugzeug die Alpen. Es sollte eine der schönsten Heldengeschichten werden und wurde eine der traurigsten, die der Simplonpass je erlebt hat.

Die damals noch junge Fliegerei entwickelte sich rasch, in Italien wurde ein Preis für die erste Alpenüberquerung von Brig nach Mailand ausgeschrieben. Den Gewinner lockten 70’000 Lire, damals eine beachtliche Summe. Fliegen war eine Sensation: Heerscharen von Zuschauern wurden erwartet. Der junge Abenteurer Chavez, der bereits den Höhenrekord bis auf 2’650 Metern geschafft hatte, wagte sich an die Herausforderung. Am 23. September 1910 überquerte Chavez den Simplon mit Bravour, beklatscht von zahlreichen Besuchern und erreichte Italien. Kurz vor der Landung in Domodossola geriet er jedoch in Turbulenzen, rund zehn Meter über dem Boden krachte ein Flügel seiner Blériot zusammen und der Pilot stürzte vor den Augen der entsetzten Zuschauermenge ab. Schwer verletzt starb Geo Chavez vier Tage später im Alter von nur 23 Jahren. In Brig erinnert der «Geo Chavez» Brunnen an den wagemutigen Piloten.

Auf dem Simplon steht der neun Meter hohe Stein-Adler und erinnert an eine andere Begebenheit: die Grenzbrigade 11 sicherte während des zweiten Weltkriegs die Grenze zu Italien. Errichtet 1944 gilt er heute als Wahrzeichen des Simplonpasses. Wander- und Schneeschuhtouren führen an ihm vorbei und lassen Besucher die schönen Seen und die grandiose Naturlandschaft geniessen.

Vgl. wandern.ch/Ausgabe 1/2022